Cover
Titel
Recusatio Imperii. Ein politisches Ritual zwischen Ethik und Taktik


Autor(en)
Huttner, Ulrich
Anzahl Seiten
530 S.
Preis
€ 98,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Körner, Seedorf

"Da er [Octavian] nun für diese Maßnahme [sc. den Widerruf der unrechtmäßigen Beschlüsse der Triumviratszeit] gerühmt und gelobt wurde, wollte er noch ein weiteres Mal seine Großherzigkeit unter Beweis stellen, um solchermaßen in noch höheren Ehren zu stehen, so dass seine Alleinherrschaft von den Menschen freiwillig gefestigt würde, um nicht den Eindruck zu erwecken, er zwänge diese Menschen gegen ihren Willen." Mit diesen Worten leitet Cassius Dio Octavians vorgetäuschte Rücktrittserklärung an der Senatssitzung vom 13. Januar 27 v.Chr. ein und zeigt dabei ein wesentliches Element der recusatio imperii auf: Die Demonstration von Bescheidenheit und Großherzigkeit, um einen breiten Konsens und eine Legitimation für die Übertragung der Macht zu gewinnen.1 Huttners überarbeitete, 2001 in Leipzig eingereichte Habilitationsschrift befasst sich mit diesem Ritual der Zurückweisung der Herrschaft.

In der Einleitung (S. 11-42) bemüht sich Huttner um eine Klärung der Begrifflichkeit und eine Eingrenzung der Thematik. Ausgehend von der Forschungsliteratur und den antiken Quellen schlägt er die Verwendung des Begriffs recusatio imperii für die Zurückweisung der Herrschaft vor (S. 14). Dafür spricht seines Erachtens, dass recusatio in antiken Quellen häufiger erscheint als andere Begriffe wie refutatio oder cunctatio. Zurecht legt er dabei Wert auf die Differenzierung zwischen inszenierter und echter, das heißt konsequenter recusatio imperii.2 Der zeitliche Rahmen von Huttners Untersuchung erstreckt sich von Augustus bis zur Abdankung Diokletians und Maximians 305 n.Chr. und zu den recusationes der Tetrarchen Constantius I. und Constantin I., mit einem Ausblick auf das Verhalten des letzten heidnischen Kaisers Julian. Das christliche Kaisertum, das neue Elemente (zum Beispiel den Begriff der Demut) miteinbezieht, wird bewusst ausgeklammert. Im Zentrum des knapp und übersichtlich formulierten Forschungsüberblicks (S. 17-35) stehen natürlich die Untersuchungen von Jean Béranger.3 Von diesem übernimmt Huttner den Fokus auf den Aspekt der Stilisierung des Akts der recusatio: Da die antiken Quellen von topischen Darstellungen geprägt sind, versucht er, stärker auf die Rezeption der recusatio und ihre Stilisierung einzugehen statt dem historischen Kern der Einzelereignisse nachzuspüren.

In einem kurzen Überblick erörtert Huttner den Machtdiskurs bei den Griechen (S. 43-80). So erscheinen einige sizilische Tyrannen in der Überlieferung als Machthaber, die sich der recusatio bedienten, um ihre eigene Position zu sichern: Wie später Octavian so boten auch sie ihren Rücktritt an, als ihre Sondervollmachten ausliefen, und legitimierten durch den angebotenen Verzicht die Fortsetzung ihrer Machtposition auf der Basis des "Volkswillens". Auch wenn sich nicht zwingend direkte Verbindungslinien zwischen den griechischen Beispielen und den kaiserzeitlichen Formen der recusatio ziehen lassen, weist nach Huttner der Diskurs um die griechischen Formen bereits Elemente der späteren römischen Beurteilung auf, so die Konfrontation zwischen dem Herrscher und der Masse, die Würdigung des Akts als Selbstlosigkeit oder den Vorwurf der Unaufrichtigkeit (S. 80f.).

Der Hauptteil des Werks ist die systematische empirische Analyse sämtlicher überlieferter Fallbeispiele bis zur Tetrarchie (S. 81-405). Ausgangspunkt ist dabei natürlich der eingangs erwähnte Auftritt Octavians vor dem Senat am 13. Januar 27 v.Chr. Im Zentrum steht gemäß Huttners Methode der Diskurs um Octavians Angebot. Nachdem im Propagandakrieg mit Antonius beide Seiten immer wieder betont hatten, eine Rückgabe der Sondervollmachten sei erwünscht, aber nicht möglich, solange die andere Seite nicht bereit sei nachzugeben, blieb Octavian nach Actium kaum eine andere Möglichkeit, als nun seinen Rücktritt anzubieten (S. 92ff.). Dass bereits die Zeitgenossen das Angebot als bloßes Manöver durchschaut hätten, zeigen nach Huttner die Quellen (Fasti Praenestini, Laudatio Turia, Ovids Fasti, Velleius Paterculus), die nicht von einem Machtverzicht sprächen, sondern sich mit vorsichtigen Passivkonstruktionen und der offiziösen Formel der res publica restituta behelfen würden (S. 100). Im späteren Diskurs schwankte das Urteil über Octavians Machtverzicht zwischen Anerkennung der edlen Motive des Triumvirn und Kritik an seiner Unaufrichtigkeit (S. 100ff.). Insgesamt unterscheidet Huttner für Augustus eine ganze Reihe von Formen der recusatio, die von Rückgabe von Machtkompetenzen über Zögern bei der Übernahme neuer Kompetenzen bis zur Kompetenzteilung reichten. Zentrales Motiv war nicht der Machtverzicht, sondern eine Legitimierung der eigenen Position durch Demonstration von Uneigennützigkeit und eine verdeckte Machtausübung. Adressaten des Machtverzichts waren in erster Linie die Senatoren. Für Augustus' Nachfolger waren damit die Maßstäbe im Umgang mit Macht gesetzt.

Die in den Quellen als heuchlerisch kritisierte recusatio des Tiberius sieht Huttner in anderem Licht: Seines Erachtens deutet gerade die ausgesprochen unglücklich verlaufende recusatio darauf hin, dass hier nicht machtpolitisches Kalkül den Hintergrund lieferte, sondern dass Tiberius tatsächlich an eine Rückkehr zu republikanischen Traditionen mit einer Stärkung des Senats und einer Schwächung der Position des Princeps gedacht haben könnte (S. 147f.). Nach Tiberius wurde die recusatio imperii zu einem äußerst beliebten Mittel der Machtsicherung, das von einer Mehrheit der Kaiser angewandt wurde.4 Es zeichnen sich verschiedene Formen ab - je nachdem, ob die recusatio vor dem Senat oder dem Militär stattfand und ob der Kandidat ein regulärer Nachfolger eines verstorbenen Vorgängers oder ein Usurpator war (S. 150f.). Ausführlich widmet sich Huttner den Fällen der inszenierten recusatio (S. 160-295).5 Besonders geht er dabei auf den Fall Julians ein (S. 248-295), für den sowohl Selbstzeugnisse des Kaisers wie auch Zeugnisse seiner Zeitgenossen vorliegen. Dass eine recusatio imperii auch erfolgreich sein konnte, zeigt Huttner anhand von zahlreichen Beispielen auf (S. 296-364, besonders S. 327-364). Der empirische Teil der Arbeit schließt entsprechend mit einer Untersuchung der Rezeption der Abdankung Diokletians und Maximians 305 n.Chr. (S. 365-389, wobei Huttner auch auf Vorläufer aus republikanischer Zeit, insbesondere natürlich Sulla eingeht: S. 389-405, besonders S. 396-404). Dabei wird deutlich, dass wohl auch die offizielle Abdankungserklärung der Tetrarchen auf etablierte Argumentationsmuster der recusatio imperii zurückgriff (S. 388).

Im Anschluss versucht Huttner, die empirisch gewonnenen Ergebnisse zu einem "Modell der recusatio imperii" zu systematisieren und dabei auch wissenschaftliche Erkenntnisse aus Soziologie und Psychologie miteinzubeziehen (S. 406-472).6 Dabei zeigt er auf, welche Bedeutung der recusatio für die Legitimierung des Herrschers zukam, zumal wenn dieser durch eine Usurpation die Macht zu ergreifen versuchte. In zunehmendem Maße erhielt die recusatio im Verlauf der Kaiserzeit normativen Charakter. Je stärker die recusatio Ritualcharakter annahm, desto weniger stellt sich die Frage, ob der Prätendent im Einzelfall die Ablehnung der Kaiserwürde "ernst meinte"; vielmehr wird deutlich, dass es sich letztlich um einen normierenden Faktor des Prinzipats handelt: Vom Prätendenten wurde im Rahmen der Verzichtsethik seit Augustus und Tiberius erwartet, dass er bereit war, auf die Macht zu verzichten, also Selbstbeherrschung (moderatio) zu üben imstande war. In diesen Rahmen gehört auch die Ablehnung von Ehrungen (recusatio honorum), die oft prestigeträchtiger war als deren Annahme. Interessant ist Huttners Beobachtung, dass kein Fall belegt ist, in dem die recusatio durch einen Prätendenten beispielsweise vor den Truppen zu seiner Ermordung geführt hätte - offensichtlich war also die Ritualisierung des Vorgangs so weit fortgeschritten, dass der Konflikt zwischen Masse und Individuum in geregelten Bahnen ablief. Diese Ritualisierung spiegelt sich auch in der literarischen Tradition wider: Die Parallelen in den Schilderungen von recusationes gehen bis in wörtliche Details hinein (S. 461ff.).

Als originellen Ausblick auf ein neuzeitliches Beispiel schildert Huttner die Vorgänge um den Machtverzicht Simón Bolívars 1819 (S. 473-482), der sich allerdings weniger auf kaiserzeitliche, sondern eher auf republikanische Vorbilder (vor allem Sulla) berief. Umfangreiche Indizes (Quellen und Personen) erleichtern die systematische Arbeit mit der Untersuchung (S. 490-530). Das Literaturverzeichnis (S. 487-489) hingegen beschränkt sich bedauerlicherweise auf die grundlegenden Werke, so dass man spezifische Literatur in den Fußnoten suchen muss.

Natürlich bietet der Versuch einer Theorienbildung eine Art Abschluss der Arbeit. Dennoch hätte man nach beinahe 500 Seiten der Lektüre ein kurzes Fazit erwartet, das der umfassenden Untersuchung einen abschließenden Rahmen gegeben hätte. Des Weiteren stellt sich nach der Lektüre der zahlreichen Fallbeispiele die Frage, inwieweit das Ideal der recusatio imperii in der behandelten Zeit auch einem Wandel unterworfen war, eine Frage, der Huttner bedauerlicherweise nicht genauer nachgeht. Ansätze dazu gibt es zumindest im empirischen Teil: So wird für Herodian im Zusammenhang mit Maximinus Thrax und Gordian I. die zunehmende Erstarrung der Darstellung der recusatio zum Topos erwähnt (S. 193 bzw. S. 199f.), im Falle Constantins auf die neue Komponente der göttlichen Fügung hingewiesen (S. 247). Problematisch ist schließlich auch, dass die Primärquellen oft ohne eine Einordnung in ihrer jeweiligen geistesgeschichtlichen Hintergrund ausgewertet werden - macht es wirklich keinen Unterschied, ob Tacitus oder der Verfasser der Historia Augusta eine recusatio beschreiben? Hier wäre den jeweiligen Intentionen der antiken Autoren genauer nachzugehen gewesen.

Insgesamt ist das Werk als eine ungemein gründliche, sorgfältige und umfassende Darstellung und Typologisierung eines Phänomens, dessen Bedeutung für den Herrscherwechsel in der Kaiserzeit kaum überschätzt werden kann.

Anmerkungen:
1 Cass. Dio 53,2,6; vgl. auch Huttner, S. 88.
2 Sprachlich etwas unglücklich formuliert ist auf S. 16: "Man sollte also die inszenierte (oder 'vorläufige') von der konsequenten (oder 'echten') recusatio imperii unterscheiden." Logische Gegensatzpaare wären vielmehr inszeniert - echt und vorläufig - konsequent.
3 Béranger, Jean, Le refus du pouvoir (Recherches sur l'aspect idéologique du principat), MH 5 (1948), S. 178-196; Ders., Recherches sur l'aspect idéologique du principat, Basel 1953, hier S. 137-169. Von Bedeutung für Huttners Untersuchung ist natürlich auch Wickert, Lothar, Art. "Princeps", in: RE XXII 2 (1954), Sp. 1998-2296. Erstaunlicherweise hat in jüngster Zeit das Forschungsinteresse an der recusatio so weit nachgelassen, dass nicht einmal ein Lemma im Neuen Pauly dem Thema gewidmet ist (siehe auch Huttner, S. 34f.).
4 Huttner formuliert sogar: "Es läßt sich kaum ein Kaiser nennen, bei dem man mit Sicherheit davon ausgehen kann, daß seine Regierungszeit nicht durch Rekusationsgesten eingeleitet wurde." (S. 151)
5 Im Falle Traians erwähnt Huttner (S. 228, Anm. 222) auch die im Corpus des Aelius Aristides überlieferte so genannte "Kaiserrede" und schließt, gestützt auf D. Librale (L' 'Eis basilea' dello pseudo-Aristide e l'ideologia traianea, ANRW II 34.2, 1993, S. 1271-1313), Traian als Adressaten nicht aus. Dabei handelt es sich jedoch um eine höchst fragwürdige Zuordnung, siehe Körner, Christian, Die Rede Eis basilea des Pseudo-Aelius Aristides, MH 59 (2002), S. 211-228, hier S. 221.
6 Dass sich Huttner durchaus der Schwierigkeiten von Theoriebildung und der Übertragung von Modellen auf die historische Entwicklung bewusst ist, räumt er selbst ein; zudem hat er sorgfältig die einschlägige Literatur zur historischen Theoriebildung konsultiert (S. 40f. mit Anm. 9).

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension